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Sommernachtstraum

4. Kapitel - Der kleine Umweg

mit Bildern von ©sylviasart, die für diese Serie speziell angefertigt wurden.

Das Fenster ist weit geöffnet und frische Morgenluft durchspült das Zimmer. Während Rolf seinen BRAUN noch mehrfach über die Kinnkante schnurren läßt antwortet ihm das Echo einer Motorsäge aus dem nahegelegenem Wald. Die Arbeiter haben keinen Urlaub, wie er, und gehen um diese Zeit bereits ihrer Arbeit nach.
Die vergangene Nacht kam ihm wie ein unwirklicher Traum vor, sieht es doch jetzt so aus, als ob er sie allein verbracht hatte. Keine Spur von einem weiblichen Wesen befindet sich mehr in seinem Zimmer, denn Sophie ist schon sehr zeitig aufgestanden, hat sich lautlos mit den Sachen im Arm in ihr Zimmer geschlichen, um ihn durch ihre Abreise nicht zu stören.
Das frische Wasser auf seinen Wangen nach der Rasur wird wohl für den Tag die einzige Erfrischung bleiben, denn die Sonne setzt sich bereits stark gegen den Morgennebel durch, der sich in der Früh gebildet hatte. Ein neues Tshirt übergestreift und die Haare nochmals schnell mit der Hand geglättet, schließt er hinter sich die Tür und steigt die knarrenden Holzstufen des Hauses hinunter in die Richtung Küche, wo bereits fleißig gekocht wird.

"Guten Morgen. Mmh, riecht das aber schon lecker. Ist das schon für heute Mittag?" Jedoch wäre diese Frage sicher unnötig gewesen, denn der Küchentisch stand mit Wurst, Käse und Brötchen, Marmelade und einer Schüssel Quark fertig gedeckt da und zu Mittag wollte Rolf eh nicht bleiben.
"Na, schon munter?" Dabei rührte die Wirtin die Pfanne weiter mit einem Holzlöffel um.
"An so einem schönen Morgen darf man doch einfach nicht länger im Bett liegen bleiben. Sie wissen doch: Morgenstund hat Gold im Mund." Das Messer in Rolfs Hand schneidet ein wenig der Butter vom Stück herunter und verteilt sie auf einer Semmelhäfte. "Außerdem möchte ich auch nicht in der größten Hitze noch unterwegs sein."
" Sophie sagte, du willst einen Umweg über Italien nehmen, um nach Kärnten zu kommen."
"Ja, ich muß erst morgen Nachmittag im Hotel sein. Und zuhause wollte ich auch nicht so lange warten. Was soll ich da, wo es doch in der Welt so wundervolle Orte gibt?" Ein Schluck aus der Kaffeetasse hilft Rolf, beim Reden nicht allzuviel Essen im Mund dabei zu haben. "Wollte den Brenner hoch und auf der anderen Seite am Bergkamm entang Richtung Osten fahren."
"Ich habe dir vorhin noch ein paar Jausenbrote zurecht gemacht, damit du unterwegs nicht hungerst."
"Danke. Aber das hätte nicht sein müssen. Ich hätte sicher unterwegs etwas gefunden und in der Kühlbox habe ich auch noch eine Banane und einen Apfel."
"Nimm und erspar dir das Geld für die Urlaubstage. Da ist es sicher teuer genug, wo du hinfährst!"

Viel hat Rolf nicht mehr ins Auto zu räumen. Für die Tage hier brauchte er nur sein Waschzeug und etwas Wechselwäsche. Die kleine schwarze Ledertasche ist im Auto verstaut und Rolf dreht sich zum Haus um, um sich zu verabschieden.
"Hätte ich doch fast das Wichtigste vergessen", kommt ihm die Wirtin mit einem Briefumschlag in der Hand aufgeregt entgegen. "Sophie hatte die Tage hier noch einige Studienunterlagen fertig gemacht und wollte sie per Post an ihre Studienfreundin schicken, die zur Zeit ein halbjähriges Praktikum in Friaul macht. Ich hätte sie zur Post geben sollen, aber da ist meiner Nichte eingefallen, dass du ihr doch gesagt hast, dort entlang fahren zu wollen. Nun läßt sie fragen, ob du sie nicht gleich persönlich abgeben kannst. Sie arbeitet als Rezeptionistin in einem kleinen Hotel und sicher kannst du da auch einen Tag übernachten. Sie hätte dich sicher selbst gefragt, aber diese Idee kam ihr erst heute Morgen kurz vor der Abfahrt."
"Aber, mach ich doch gern. Wenn es sowieso auf der Strecke liegt, macht es mir keine Umstände."
"Im Umschlag ist alles drin. Auch die Adresse und einige Fotos, die sie noch hat in Müchen entwickeln lassen, als ihre Freundin zu Besuch war." Die Wirtin gibt Rolf zum Abschied die Hand und wünscht ihm eine gute Weiterreise.

Noch einmal in Gedanken versunken, was die vergangenen drei Tage passiert war, rollt er den langen unbefestigten Anfahrstweg hinunter auf die Hauptstrasse. Im Rückspiegel sieht er noch, wie ihm die Wirtin kurz nachwinkt. "Upps, das hätte schief gehen können!" Hinter einer Hecke, die das Grundstück von der Strasse trennt, queren ihm plötzlich zwei junge Radfahrerinnen. Er kann gerade noch bremsen, um eine Kollision zu vermeiden. Obwohl er eigentlich in so einer Situation aufpassen muß, hätte er sicher zuhause aus der heruntergedrehten Autoscheibe irgendwelche Schimpfworte nachgerufen. Doch heute war ihm das egal und die Mädchen, die offenbar die gefährliche Begegnung in ihrem Teenager-Tratsch gar nicht so mitbekommen haben, lächeln Rolf nur zu und setzen ihre Fahrt unbekümmert fort.
"Jetzt muß ich aber aufpassen, sonst gibt es Ärger", sagt er zu sich. Die Serpetinen hinab in Richtung Autobahn geht es nur mühsam vorwärts. Ein mit Holzstämmen beladener Schwertransporter läßt hinter sich die Fahrzeuge auffädeln, wie auf einer Perlenkette. Da nutzt einem weder viele PS noch Fluchen. Noch vor einigen Jahren haben viele Kraftfahrer an der oberen Kehre Rast gemacht, um von einer Plattform aus den Blick hinunter ins Inntal zu genießen. Doch ein Bistro-Besitzer hat diesen Platz für sich vereinnahmt und so bleibt auch Rolf nicht stehen. Die Parkplätze an dieser Stelle, die sonst übervoll waren, bestätigen dies mit gähnender Leere - kaum einer hält noch an. Dabei hatte der Betreiber sein Geschäft sicher anders vorgestellt.

Auf der Autobahn geht es nun wieder schneller voran. Zwischen den Bergen wird es immer schwieriger, einen Radiosender zu empfangen und so legt Rolf eine Musik-Kasette ins Fach ein. Die Gruppe "Truck-Stop" vermitteln ihm nun im Countrysound das Feeling der Fernfahrer, die täglich zwichen Deutschland und Italien auf dieser Strecke ihr Dasein fristen. Nur ist sein Auto kein LKW und seine Heimat nicht die Landstrasse.
Der Verkehr wird dichter und langsamer. Wenig später ist die Ursache dafür gefunden. Aus der Einfahrt zu einer Autobahnmeisterei ragt die weißblaue Spitze einer Gendarmerie-Streife und richtet aus dem Wagenfenster heraus ihre Laserpistole gen Verkehr. Übervorsichtige Fahrer auf allen Spuren drosselten daher ihre Geschwindigkeit, um auch den hinter ihnen Folgenden ihre Beobachtungen kund zu tun, was unweigerlich zum Stau führt.

©Silviasart - Originaltitel: Engländer in den Alpen

Kurz vor Innsbruck nimmt Rolf die alte Brennerstrasse den Berg hinauf. Sie ist zwar nicht der idealste Weg, doch eine Art Romantik verführt genauso wie der Fakt, sich die Pass-Maut auf der Autobahn zu ersparen. Vom flachen Plateau aus, wo auch die Ortschaften wieder beginnen, sieht er in schwindelerregender Höhe die Viadukte der Autobahn stehen. Es ist schon erstaunlich, welche Meisterwerke der Baukunst hier geschaffen wurden.
Rolf biegt nach Rechts in eine Seitenstrasse ein. Sie führt ihn nach einigen Kilometern an einen kleinen Bergsee. Diesen Tipp hatte er von einem Kollegen erhalten, welcher vor Jahren hier Urlaub machte. Das Wasser ist klar und in der Sonne sieht man die Fische schwimmen, welche sich sicher sind, dass die Touristen, die hier her kommen, auch etwas von ihren Brotresten abgeben. Die kleine Gaststätte am Ufer interessiert Rolf nicht, hat er doch noch die Jausenstullen der Wirtin. Als Rastplatz sucht er sich den großen Findling aus, der halb im Wasser liegt und durch die Sonne aufgewärmt ist. Das haben auch andere bereits erkannt, so dass es nicht leicht ist, noch einen Fleck zum Sitzen zu bekommen. Nachdem er sich gestärkt hat, nimmt er das Kuvert von Sophie hervor, um zu sehen, wo er eigentlich hinfahren muss. Sie hat sich viel Mühe gemacht, ihn den Weg auf einem Blatt Papier aufzuzeichen. Auf der Rückseite hat sie noch eine Nachricht hinterlassen:

Lieber Rolf,
ich danke Dir für die schönen Tage bei meiner Tante. Ich habe sie und auch die letzte Nacht nicht bereut, Doch ich muß zurück nach München. Hier wartet meine Arbeit und mein Freund. Doch eine Bitte habe ich noch, wenn Du sie mir nicht auschlagen würdest. Meine Studienfreundin Jessica macht zur Zeit ein Praktikum in Italien und wie ich von Dir erfahren habe, machst Du auf Deiner Reise diesen Umweg. Bringe ihr doch einige Unterlagen von mir vorbei, damit ich sie nicht mit der Post schicken muß. Das geht schneller und Du lernst einen weiteren netten Menschen kennen. Im Umschlag sind auch einige Bilder von mir und ihr, welche ich für Jessica entwickeln lassen habe als Erinnerung an ihren letzten Besuch bei mir. So hast Du auch die Chance, sie schneller zu erkennen.
Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.
Ciao Sophie

Rolf greift erneut in den Umschlag und holt die Bilder heraus. "Da sieht man mal, wie albern Weiber sein können, wenn sie unter sich sind. Solche Fotos würde Mann wohl nicht machen. Na ja, ein wenig pummelig und nicht ganz mein Typ, diese Jessica" denkt er sich gerade, als er von hinten angestoßen wird und ihm die Bilder fast ins Wasser gefallen wären.
"Entschuldigen sie," sagt eine weiche Frauenstimme in gebrochenem Deutsch, "Marcello ist immer so stürmisch."
Rolf dreht sich um und blickt entlang schlanker Beine unter einem schwarzen langen Rock hinauf, vorbei an einer hellen Bluse, die erahnen läßt, welch wundervollen Rundungen unter ihr sind, zu einem beschämenden, aber freundlichen Lächeln. "Ist doch nichts passiert. Kinder sind nun einmal etwas lebhafter." "Rasseweib!", denkt er noch als sie sich einem Mann zuwendet, der mit weiteren drei Kindern hinter ihr auf den Felsbrocken kommt. "Nun, sie ist schon vollkommen ...in Anspruch genommen worden" sind seine letzten Gedanken, ehe es ihm allerdings zu laut wird und Rolf sich entschließt, seinen Platz der Familie frei zu machen.
"Wir habe sie doch nicht vertrieben?"
"Aber nein, ich muss sowieso weiter!"

Rolf klettert den Stein hinunter und geht noch zur Erholung einmal um den See diesen schmalen Weg entlang, der ihn umgibt, bevor er sich zur Weiterfahrt in sein Auto setzt.

* * *

Harmonisch eingebettet in die umliegenden Berghänge erreicht Rolf am frühen Nachmittag einen malerischen Ort. Die von Sophie aufgemalte Strecke war leicht zu merken, so dass Rolf den Weg ohne weiteren Halt durchfahren konnte. Auch das gesuchte Hotel "Dolomitenblick" was nicht schwer zu finden, ragte es doch in seiner Größe zwischen den anderen Häsern sichtlich hervor. Von kleinem Hotel, wie es ihm beschrieben wurde, kann nun wirklich nicht die Rede sein. Auf die freie weiße Fassade neben dem Eingang waren Bauernmalereien angebracht. Über dem Eingang wölbt sich schützend ein fast fünf Meter langes Vordach aus Holz. Rechts davon ist ein kleiner Steingarten angelegt, welcher das Plätschern eines schmalen künstlichen Wasserfalls sein Eigen nennt. Als Rolf sich der Glastür nähert öffnet sie sich selbsttätig und ein Teppichläufer weist ihm den Weg zur Rezeption.
Die junge Frau hinter dem Schalter unterbricht ihre Arbeit am Computer und steht von ihrem Stuhl auf, um Rolf zu begrüßen.
"Guten Tag, ich suche Fräulein Jessica Morgner", kam Rolf ihren Worten zuvor. "Sie soll hier angestellt sein."
"Moment bitte, ich werde nachfragen, wo sie gerade ist."
Sie verschwindet durch die Schwenktür hinter sich und Rolf nutzt die Gelegenheit, sich einige Prospekte vom Haus und der Umgebung anzusehen. Dabei fallen ihm auch die niedrigen Preise für die Zimmer ins Auge und er entschließt nachzufragen, ob er hier übernachten kann.
"Jessica ist unten am Gutshof." Die nette Dame ist inzwischen aus dem Hinterzimmer zurückgekehrt. "Dort ist eine Hochzeitsgesellschaft und unser Hotel richtet die Feierlichkeiten mit aus. Jessica ist für Organisationsaufgaben eingeteilt. Sie werden allerdings bei den vielen Leuten sehen müssen, ob Sie sie finden können"
Genau in diesem Moment schieben sich die beiden Glastüren des Eingangs erneut beiseite und zwei staatliche Herren in typischer Volkstracht betreten das Foyer gefolgt von Blasmusik, die aus der Ferne zu hören ist.
"Entschuldigen sie noch eine Frage, könnte ich bei ihnen für eine Nacht ein Zimmer bekommen?"
"Oh, tut mir leid. Durch die Gesellschaft sind wir hoffnungslos ausgebucht. Aber versuchen sie es doch im Nachbarort. Das sind nur zwei Kilometer."

Rolf geht einen ausgetretenen Wiesenpfad in Richtung des Gutshofes zu Fuß. Das Auto läßt er erst einmal am Hotel stehen, da er nicht weiß, ob er dafür einen Parklatz findet. Zudem tun ihm auch nach der langen Fahrt ein paar Schritte gut. Obwohl schon von Weitem zu sehen ist, dass sehr viel Menschen anwesend sind, kommen kaum Geräusche herüber. Das Gras steht wadenhoch und scheint alles zu verschlucken. Zwischen den grünen Halmen richten Blumen ihre bunten Köpfe nach oben und versuchen, die ersten im Wachstum zu sein. Kleine gelbe Schmetterlinge nehmen sich ihrer an als würden sie mit den Blumen spielen.

Das breite hölzerne Tor ist vollständig nach Innen gedreht und gibt den ungehinterten Zugang zum Gutshof frei. Nun ist auch das Stimmengewirr lauter zu vernehmen und Rolf kann nur einen regen Wortaustausch vernehmen, ohne zu verstehen, was da gesprochen wird - nicht nur, weil alles durcheinander klingt, sondern auch, weil er der Sprache hier nicht mächtig ist. Ein schon leicht angeheiterter Mann im mittleren Alter reicht Rolf einen tönerenen Krug entgegen. Für ihn ist das nach der langen Fahrt ein willkommener Tropfen und als er sich bedanken will, steht er schon wieder allein in der Toreinfahrt. Der Mann ist unterdessen an den langen Tisch gerückt, der rechts neben der Hofmauer aufgestellt ist.
"Bei dem Massenauflauf wird es wohl für mich nicht ganz einfach sein, die Freundin von Sophie zu finden", denkt sich Rolf noch, als es hinter ihm mehrfach hupt. Ein großer schwarzer ALFA, geschmückt mit Blumengebinden und kleinen Fähnchen, kommt nicht an Rolf vorbei. Seine Statur in der Einfahrt hat dem Auto die Einfahrt versperrt. Mit einem Schritt zur Seite und einem leichten Lächeln winkt er den Wagen durch, in dem das Brautpaar sitzt. Nun wird es noch belebter, da mit ihnen weitere Fahrzeuge und Gäste folgen, die offenbar von einem Ausflug zurück kehren.

Die Musik im Hof setzt aus, als das Paar aussteigt. Die wahrscheinlich während der Abwesenheit des Paares neu hinzu gekommenen Gäste gratulieren und überbringen kleine Geschenke. Rolf kann aber immer noch nicht ausmachen, wer unter den ganzen Bediensteten und Gästen Sophies Freundin sein soll. Seinen kleinen Hunger stillt er sich mit Obst aus den Schalen, die auf den Tischen zum Verzehr locken. Zum Glück hatte er die Stullen seiner Wirtin dabei gehabt und am See vor der Grenze zu sich genommen. Doch ohne diese Füllung im Magen bekäme ihm der Wein sicher nicht allzu gut. Ständig bekommt er ein Angebot, mit jemanden auf das Brautpaar anzustoßen, obwohl er nicht eingeladen oder gar mit jemanden bekannt ist. Doch das scheint hier niemenanden zu interessieren. Wer auf dem Hof steht gehört einfach dazu.
Es ist bereits 19.00 Uhr geworden. Im Portal des Gutshauses formatieren sich Personen in weißem Kittel sowie weißer Schürze und halten die Speisen und Getränke für das abendliche Menü in der Hand. Eine kleine, zirka ein Meter sechzig groüe Frau schiebt sich hindurch und stellt sich auf die oberste Treppe des Portals. Ihr schwarzes Kostüm und der strenge Blick in die Runde weist auf eine wichtige Funktion an diesem Abend hin.
"Das muss sie sein !" fährt es Rolf durch den Kopf. Obwohl sie auf dem Bild ja schulterlange Haare hat und sie bei dieser Frau zu einem Knoten streng nach oben gebunden sind. Die Musiker, die kurz nach der Ankunft des Paares erneut zum Tanz ansetzten, verstummen nach einem Zeichen der Frau erneut und die Kapelle stößt einen kurzen Tusch aus. Die Anwensenden wenden sich zur Tür während im Defilee die abendlichen Speisen, voran ein bunt geschmückter Fassan auf einem silbernen Tablett, zu der vorbereiteten Stelle getragen werden, an der das kalte Buffet eingerichtet ist. Das Brautpaar darf nun das Essen eröffnen.
"Nun habe ich endlich Jessica gefunden, aber es wird wohl unpassend sein, sie in diesem Moment anzusprechen", überlegt Rolf. Also holt auch er sich seinen Teller mit kulinarischen Köstlichkeiten und setzt sich zu den anderen in der Runde. "So billig komme ich heute nicht wieder zu gutem Essen", sagt er sich und führt die Gabel zum Mund. Eine ältere Dame neben ihm versucht, mit Rolf ins Gespräch zu kommen. Doch der Dialog endet in gegenseitigem Gelächter ob der Verständigungsschwierigkeiten. Mit Händen und Gesichtsgesten sehen die Kommunikationsversuche oft sehr lustig aus.

Inzwischen versinkt die Sonne hinter den hohen Bergen im Westen und auch das Klappern des Bestecks hat längst nachgelassen. "Jetzt muß ich aber sehen, ob ich Jessica irgendwo finde, sonst muß ich mich aufmachen, um noch irgendwo ein Bett zu bekommen", geht es Rolf wieder durch seine Gedanken. "Schlimmstenfalls muß ich im Auto schlafen." Das wäre für ihn aber das kleinere Übel und fahren mag er bei dem Wein, den er getrunken hat, auch nicht mehr. Der treibt ihn nämlich jetzt erst einmal auf, um nach einer Toilette zu suchen. So geht er ins Haus und bewundert dabei den prachtvollen Innenausbau des Hauptgebäudes. "Da muß meine Oma wohl noch lange stricken, bis ich mir so etwas leisten kann."
Links im Gang verschwindet er dann in einer Tür, die alle aus notwendigen Gründen aufzusuchen scheinen.
Nach Benutzung der Örtlichkeit kommt Rolf in der Halle diese Frau im schwarzen Kostüm gerade entgegen und er entschließt sich, sie anzusprechen: "Entschuldigung, sind Sie Jessica Morgner?"
"Ja, und Sie sind Rolf, stimmts?"
"Das hat sich aber schnell herumgesprochen, dabei habe ich hier niemanden weiter meinen Namen verraten." witzelt er zur Antwort.
"Fienchen hat doch heute vormittag angerufen und gesagt, dass Sie erscheinen werden, um die Bilder und ein Kuvert mit Unterlagen vorbei zu bringen. Waren sie auch auf dem Fest?"
"Man hat mir in Ihrem Hotel mitgeteilt, dass Sie hier für die Organisation zuständig sind und so habe ich diese Gelegenheit nicht ausgelassen, mich daran zu beteiligen, zumal ich gleich von Anfang an voll ins Geschehen integriert wurde."
"Na fein, dann hat es ihnen sicher gefallen. Hier ist man sehr gastfreundlich und es stört nicht, wenn ein Fremder teilnimmt."
"Ist mal etwas anderes gewesen. Ihren Umschlag habe ich allerdings oben am Hotel im Auto liegen. Sie werden die Sachen sicher nicht sofort gebrauchen ?"
"Aber nein. Sophie benötigte noch einiges zur Betriebswirtschaftslehre, was sie mir nun zurück gibt. Wo werden Sie heute übernachten?"
"Das wird wohl dann doch das Auto sein, da durch die Hochzeit im Ort alles hoffnungslos ausgebucht ist. Die Dame an der Rezeption hat mich in den Nachbarort verwiesen, doch bei dem Alkoholgehalt, den ich nun in mir habe, möchte ich mich nicht mehr ans Steuer setzen zumal ich mich hier nicht auskenne. Ich hätte wohl vorher nach geeignetem Quartier suchen sollen."
"Wissen Sie was, Sie schlafen heute in meinem Zimmer. Es ist ein Doppelzimmer mit getrennten Betten und die Kollegin, die bis dahin dieses eine Bett nutzte, ist abgereist. Ihr Ersatz wird erst am kommenden Donnerstag erwartet. Und ich denke, wir werden uns die eine Nacht nicht ins Gehege kommen. Mein Chef wird sicher nichts dagegen haben. Ich bin hier gegen ein Uhr fertig und dann können wir gern gemeinsam hoch gehen. Dort können Sie mir auch alles geben."
"Wenn es Ihnen nichts ausmacht, nehme ich die Einladung unter diesen Umständen an. Sie brauchen auch wegen mir keine Angst zu haben" Jessica lacht, als hätte Rolf soeben sie zum Tanz aufgefordert. "Ich werde im Hof auf Sie warten."

"Hallo, da bin ich!. Wir können gehen." Sie schlendern hintereinander den Pfad hinauf, den Rolf am Nachmittag herunter kam. Er ist so schmal, dass sie nicht nebeneinander gehen können. Die Grillen zirpen leise und der Mond hat seine Kugel noch nicht ganz ausgeformt, mit der er ihnen den Weg ausleuchtet.
"Sophie sagte mir, dass sie hier ihr Praktikum machen." "Ich bin in diesem Hotel für ein halbes Jahr angestellt. So kann ich meine Italienischkenntnisse erweitern, die ich später in Salzburg, wo ich bereits eine kleine Wohnung und Anstellung in einem Hotel gefunden habe, nutzen kann. Fienchen und ich haben uns in München auf der Uni kennengelernt und besuchen uns bei Gelegenheit immer mal wieder."

An Rolfs Auto halten sie inne und Rolf holt seine Ledertasche sowie das Couvert mit den Bildern heraus. Jessica hat inzwischen die Tür zum Nebeneingang geöffnet, da im Hotel bereits Nachtruhe eingezogen und die der Haupteingang verschlossen ist. Gäste können diese aber mit dem Zimmerschlüssel bedienen. Der Lift fährt sie in die oberste Etage. Die Wände haben durch das Dach Schrägen und sind daher statt mit Bildern durch aufgemalte Dekore verziert. Obwohl es sich um Peronalunterkünfte handelt, haben die Zimmer trotzdem Nummern an den Türen. Jessica holt eine Chipkarte aus ihrem Kostüm und öffnet damit ihr Quartier. "Bitte, kommen Sie herein. Geradeaus ist ihr Bett und rechts vor dem Fenster geht es ins Bad. Mehr ist nicht."
"Wird schon reichen für diese eine Nacht", bedankt sich Rolf.
"Da Sie Fienchens Bekannter sind - würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie dutze? Ich denke, das wird für beide einfacher sein als diese blöde Höflichkeit."
Rolf freut sich auf das Angebot, da es ihm schon die ganze Zeit störte. Ihm liegen diese Förmlichkeiten nicht so sehr.
"Ich werde mich jetzt zu Bett begeben, Morgen muß ich nochmals sehr zeitig raus, um das Frühstück der Hochzeitsgäste zu arrangieren." Mit diesen Worten verschwand sie im Bad. Rolf hörte, wie die Dusche ihren Strahl über Jessicas Körper verteilte und vernahm das Gurgeln vom Zähneputzen. Daran zu denken, wie sich ihre sanfte Haut unter den Wasserperlen bewegte, so wie er es immer tat, als noch Katja beim ihm wohnte, hatte er jedoch heute keine Lust, zumal Jessica nicht ganz der Typ von Frau war, den er sofort vernaschen würde. Als sich die Tür wieder öffnete, kam eine unscheinbare in langem Schlafrock und herabfallendem Haar gehüllte Person zurück ins Zimmer. Rolf zog ein wenig die Augenbrauen hoch, was Jessica gleich bemerkte. Eigentlich tragen Frauen in diesem Alter doch eher leichte durchsichtige Nachtwäsche.
"Entschuldige. Das ist eigentlich ein Nachthemd für den Winter, weil ich sehr kälteempfindlich bin. Aber in dem anderen Nachtgewandt kann ich mich nicht so vor fremden Männern zeigen und wenn ich alleine bin schlafe ich bei dieser Hitze normalerweise nackt."
"Macht doch nichts. So komme ich wenigstens nicht auf dumme Gedanken." - was Rolf eh nicht vorhatte. Dabei zwinkert er ein wenig mit dem rechten Auge und verschwindet ebenso im Bad.

* * *

Der Radiowecker zeigt acht Uhr, als Rolf sich zu ihm umdreht. Das Nachbarbett ist bereits leer und auf dem Tisch liegt ein kleiner Zettel.

"Hallo Rolf, das mit der Unterkunft habe ich noch nachträglich heute früh geklärt und das Frühstück kannst Du unten im Speisesaal kostenlos einnehmen. Jessi"

Nachdem sich Rolf frisch gemacht hatte, ging er hinunter in den Spiesesaal, wo er bereits von der Bedienung erwartet wurde. "Sie sind der Gast von Frau Morgner? Bitte folgen sie mir an den Tisch."
"Hier klappt ja wirklich alles", wundert sich Rolf. "Können Sie Hellsehen?"
"Da die meisten Gäste zur Hochzeitsgesellschaft gehören, war dieses nicht schwer zu erraten. Frau Morgner läßt ausrichten, dass sie gegen Mittag im Hotel sein wird. Sollten Sie bis dahin noch bleiben wollen, können Sie dann mit ihr reden, soll ich ausrichten."
"Danke, ich werde warten. Ich versuche, Sie eventuell an der Rezeption zu treffen oder hier auf sie warten, sollte sie danach fragen."
"Ich werde es ihr ausrichten - das Essen können Sie vorn am Buffet selbst entnehmen, Kaffee oder Tee? Bringe ich dann gleich an den Tisch."

Die nächsten Stunden verbringt Rolf bei einem Spaziergang durch den malerischen Ort. Dabei genießt er die Ruhe und den Anblick der Berge. Unten, vom Gutshof, klingt wieder die Musik. Man feiert weiter, doch Rolf möchte sich die Gegend ein wenig ansehen und entspannen. Einfach so abreisen, ohne wenigstens sich persönlich bei Jessica für die Unterkunft zu bedanken, möchte er nicht. Und der Wein vom Vortag hat auch noch ein wenig Nachlass in seinem Körper gefunden. Sein Weg führt ihn entlang der oberen Ortsumgehung, vorbei an bäuerlichen Anwesen zur einer Brücke, die den Sturzbach überquert. Eine mit Dekor verzierte Holzbank lädt zum Verweilen ein. Aus seinem Auto hat er sich zuvor den Atlas mitgenommen und sieht sich bei der kleinen Rast den Weg für die Weiterfahrt an. "Sicher noch vier Stunden. Da brauche ich nicht so zeitig fort und werde im Hotel noch zu Mittag essen, bevor mir der Magen wie gestern anfängt, zu knurren. Schnittchen gibt es ja heute keine mit", überlegt er sich und geht seinen Weg weiter. Das Hotel kann man ständig sehen und sich so nicht verlaufen.

Die Glastür öffnet sich wieder wie von Geisterhand, als er das Foyer betritt. Es ist nach zwölf und Rolf beschließt, sich direkt auf die Terrasse zum Essen zu begeben.
"Ein Glas Mineralwasser und Spaghetti Milano bitte." Der Sonnenschirm bietet ihm den nötigen Schutz vor der Mittagshitze. Rolf beobachtet über den kleinen grünen Zaun, der die Terasse nach außen abtrennt und mit bunten Blumen in weißen Trögen bestückt ist, wie der Sprühstrahl des Sprenglers sich ständig auf dem gegenüberliegenden Rasen hin und her bewegt. Dabei in leichter geistiger Abwesenheit versunken bemerkt er nicht, wie sich ihm jemanden nähert.
"Ihr Glas Wasser, mein Herr!" Neben ihm steht Jessica am Tisch. Heute hat sie ihre Haare nicht so festlich hochgebunden sondern läßt sie, wie auf dem Foto, lockig auf die Schulter fallen. "Man hat mir gesagt, dass ich Dich hier finde. Wann fährst Du weiter?"
"Nach dem Essen. Vielen Dank nochmals, dass das mit der Übernachtung so geklappt hatte und hoffe, ich habe Dir keine Unangenehmlichkeiten bereitet."
"Ach woher. Dieses ist ein gastfreundliches Hotel und hatte bisher immer eine Lösung gefunden, wenn Not war. Und heute Nacht hast Du geschnurrt wie ein Kätzchen. Da brauchte ich keine Bange zu haben."
"Da bin ich aber beruhigt", gibt Rolf lächelnd zurück.
"Wie lange wirst Du im Urlaub bleiben?"
"Ich habe für zehn Tage gebucht."
"Dann fährst Du ja am Zwanzigsten zurück" rechnet Jessica schnell durch. "Ich habe nach der Hochzeit noch ein Sängertreffen auszurichten und bin anschließend auf eine Woche Urlaub zuhause in Salzburg. Solltest Du Lust verspüren, biege doch auf dem Rückweg einfach von der Autobahn ab und ich zeige Dir meine Stadt." Dabei schob sie ihm ihre Visitenkarte entgegen.
"Ich werde es mir überlegen." Während er die Visitenkarte aus ihrer Hand nahm, schaute er zum ersten Mal direkt in ihre graublauen Augen.
"Gute Fahrt, ich muss leider jetzt weiter machen" ein kurzer Blick zurück zu Rolf und ein kindliches Winken mit der Hand, ist das Letzte, was Rolf an diesem Tag von ihr sieht, bevor er sich nach dem Essen in sein Auto setzt - dem neuen Ziel entgegen.


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